Monika Tempel
Ärztin, Psychosomatik, Psychoonkologie, Pain Care Management, psychopneumologischer Arbeitsschwerpunkt (psychopneumologie.de)
Jeder Mensch ist einzigartig. Jeder kranke Mensch ebenfalls. Selbstredend auch jeder tuberkulosekranke Mensch. Insofern müsste ich eigentlich ganz verschiedene Geschichten von TBC-Erkrankten erzählen: von der 17jährigen Abiturientin, von dem 24jährigen Migranten, von der 30jährigen Verkäuferin, von dem 42jährigen technischen Angestellten, von dem 87jährigen Beamten im Ruhestand und von vielen, vielen anderen. Diese Geschichten umfassen ganz individuelle Erfahrungen – aber auch gemeinsame Erfahrungen, die fast alle Betroffenen in ähnlicher Weise gemacht haben. In der Fachliteratur werden diese Erfahrungen unter dem Begriff „Tuberkulose-Angst-Depressions-Syndrom“ zusammengefasst und diskutiert. Hinter diesem „Syndrom“ verbergen sich Erzählungen von Ungewissheit, Nicht-wahrhaben-Wollen, Isolation, Rückzug, Grübeln, Scham, Befürchtungen, Panik, Verzweiflung und von vielen weiteren Emotionen, die den Begriffen „Angst“ und „Depression“ nur sehr vage zugeordnet werden können.
Der Einfluss einer Tuberkulose-Erkrankung auf das körperliche, psychische und soziale Befinden der Betroffenen ist beachtlich. Dabei sind die körperliche, die psychische und die soziale Ebene vielfältig untereinander verknüpft. Körperliche Einflüsse (wie die Effekte von Stress auf das Immunsystem oder auf Gehirnfunktionen) interagieren mit psychologischen Verhaltensweisen (wie Wahrnehmung, Akzeptanz, Krankheitsverarbeitung oder Therapietreue) und mit sozialen Faktoren (wie Stigma oder Isolation).
All diese Erfahrungen können durch Interventionen aus dem Repertoire von Psychosomatik und Verhaltensmedizin günstig beeinflusst werden. Deshalb gehört zu einem patienten-orientierten Behandlungskonzept der Tuberkulose ein psychologisch-psychosomatischer Ansatz unabdingbar dazu. Wie einige Studien nachweisen, eignen sich für diese spezielle Herausforderung besonders akzeptanzfördernde, achtsamkeitsbasierte und sinnorientierte Interventionen. Carolin Fuchs fasst in ihrem Erfahrungsbericht zusammen, wie diese Methoden zur Akzeptanz der TBC-Erkrankung und zu einem besseren Umgang mit den emotionalen Belastungen führen können: „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es vorwärts.“
Diesen Ausspruch von Søren Kierkegaard schätzte auch Viktor Frankl, der Begründer der (sinnorientierten) Logotherapie. Dass Frau Fuchs zudem ihre Erfahrungen mit der eigenen Tuberkulose-Erkrankung für andere Betroffene nutzen möchte, hätte Viktor Frankl ganz sicher gefallen. Ich wünsche Carolin Fuchs eine lebhafte und fruchtbare Resonanz auf ihr Projekt „Mit Tuberkulose leben“.
Titelbild: Tung Nguyen (pixabay.com)